Sie freue sich ein bisschen auf diesen Winter, gesteht eine Berliner Studentin ihrer Kommilitonin. „Mal wieder Theater und so.“ Ihre Freundin, bei einer Tasse dünnem Mensa-Kaffee in die Mittagssonne blinzelnd, stimmt zu, wechselt aber schnell das Thema. So ganz geheuer scheint ihr die Sache nicht. Am liebsten würde ich mich einmischen. Theater und so – klingt vielversprechend. Und was man nicht alles dazu tragen könnte!
Ich kann gut reden, habe ich doch dieses Mal Glück mit meinem sehr überschaubaren Kleidervorrat. Zwei der wesentlichen Trendutensilien dieses Winters kann ich bieten: eine Strickjacke und einen schwarzen Lederrock.
Letzterer wurde mir vor langer Zeit in einem Sommer in Salzburg geschenkt, in einer Zeit, als man ein Geschäft betrat und darauf zu warten hatte, dass jemand auf einen zukommt und fragt, was man denn bitte wünsche. Die Fachkraft hörte sich das Anliegen an, sammelte Kleidungsstücke und hielt beim Begutachten den Kopf ein wenig schräg. Sich selbst etwas zum Probieren zu nehmen wäre schlicht frech gewesen. So viel zum zeitlichen Abstand, doch ich schwöre, der Rock sieht immer noch aus wie neu, sodass man ihn, mit ein bisschen Phantasie, für einen weit schwingenden Lederrock aus der aktuellen Winterkollektion von Bottega Veneta halten könnte.
Ein Lederrock als Trendutensil
Also ein Lederrock. Und dann natürlich die Strickjacke, mein Liebling. Ich kenne die gelegentliche Skepsis gegenüber dieser Magd der Mode: Gebt ihr die Rückenlehne eines Küchenstuhls, lasst sie warten, während die anderen am Abend ausgehen. Aber wo die Liebe eben hinfällt. In diesem Winter fühle ich mich verstanden: von Fendi und Dries Van Noten mit seinen Strickstücken, und von Chanel mit seinen Cardigans als Teil einer ausgesprochen vielsagenden Prêt-à-porter-Kollektion.
Als Interpretationshilfe diente ein filmischer Hintergrund: Das französische Seebad Deauville wurde aufgerufen, die berühmten Dielen der Promenade, ein fast menschenleerer Strand bei Sonnenuntergang. „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“, heißt es bei Rainer Maria Rilke. Der Wind spielt mit der Einsamkeit. Bei Chanel spielt der Wind mit der Schleife um einen breitkrempigen Hut à la Belle Epoque. Auch die Dame in Strickjacke trägt ihn. Hut, Strickjacke, dazu eine gleichfarbige Hose plus einen schlanken Gürtel. Nirgendwo sonst macht die Mode in diesem Winter ein so zuversichtlich entspanntes Gesicht.
Die kalte Jahreszeit verändert auch die Art, sich zu kleiden
Ein Herbst, ein Winter ohne Schrecken. Eine Zeit ohne Angst vor schutzloser Kälte. Idealerweise müsste die Wintersonne der Mode die Welt bis auf die Knochen wärmen. Ihr tatsächlicher Beitrag ist bescheiden. Eine Hutschleife im Wind.
„Auf Wänden und an Mauern, es wird nicht lange dauern, brennt goldener Sonnenschein.“ Wundern Sie sich nicht, wenn Gedichte auftauchen. Hier ist es die 1907 veröffentlichte „Wintersonne“ von Robert Walser. Es geht um Sehnsucht, um einen flüchtigen Augenblick der Schönheit. Der Mode ist das nicht fremd.
„schwäne auf dem zugefrorenen hellbrunner teich: ihr eisbehauchten, ihr schneevögel, zeigt her eure füße, ihr schlittert ja nicht, jede nervosität ist euch fremd. sollte es die runde wintersonne sein, die euch wie ein magnet diesen sicheren halt gibt?“
So schreibt der Lyriker H. C. Artmann in seinem Register der Sommermonde und Wintersonnen. Die Wintersonne verbindet sich mit dem Staunen, mit anmutiger Leichtigkeit. Für Jean Daniel, den legendären Journalisten und Mitbegründer des politischen Magazins „Le Nouvel Observateur“, war sie sogar ein Versprechen: Bessere Zeiten werden kommen.
Die Erkältung war vorprogrammiert, aber es musste diese Bluse sein
Wintersonne, trägt sie nicht jeder immer wieder mit sich herum? Verborgen unter Schichten aus Mantel, Schal und Extrapulli ist da etwas Unvernünftiges. Ich erinnere mich: Draußen war es bitterkalt (wir reden von den Wintern der Achtzigerjahre) und eigentlich verbot sich dieses Fähnchen von Bluse. Die Erkältung war vorprogrammiert, aber wegen dieser Party und wegen dieses einen Menschen, der hoffentlich auch kommt, fiel das nicht ins Gewicht. Es war kalt und dunkel und gleichzeitig irgendwie hell.
Vielleicht ist die Mode im Winter ja grundsätzlich persönlicher als im Sommer. In dem Sinne, dass sie anstrengender, vielteiliger und der Mensch darin verletzlicher ist. Im Sommer ist das perfekte Outfit leicht. Eine Jeans und ein Hemd können genügen. Ein Kleid, das weiter keine Begleitung braucht. Der Winter aber macht die Dinge kompliziert und verlangt nach Kompromissen, nach Improvisation. Manchmal ist es nur ein Detail, das die Geschichte erzählt. Ein Ärmel aus Chiffon. Ein Mantelkragen. Oder es ist ein schwarzes Cape aus Taft, das über die große Treppe der Pariser Oper rauscht.
Wir sind noch einmal bei Chanel, dieses Mal beim Haute-Couture-Defilee in der Pariser Oper. Das Model Vittoria Ceretti eröffnet die Schau für diesen Winter. Selbst von Youtube aus betrachtet wirkt es Ehrfurcht gebietend. Man glaubt, das schwarze bodenlange Cape vor Ungeduld knistern zu hören, alle Bedenken wischt es beiseite. Die Realität der Straße, die Sorgen der anderen, die Jahreszeiten kümmern es nicht. Vermutlich fährt es nachts in einer Kutsche durch Paris, ein verwöhntes Lieblingskind der Mode, das bekommt, was es will, und nicht bereit ist, auf das Drama der Leidenschaft zu verzichten. Wie hatte die junge Frau in der Mittagspause gesagt? „Theater und so.“ Welches Stück wird gespielt? Wohl eher keine Komödie.
Als ich als Kind versuchte, mit Strickjacke eine Dame zu imitieren
Nein, zum Scherzen ist auch die Mode nicht aufgelegt. Sie erkennt den Ernst der Lage und nimmt Abstand. Die Mode dieses Herbstes sei so eskapistisch wie selten, bemerkt die französische „Vogue“. Die „New York Times“ spricht dagegen von „Verfeinerung“: „Fall fashion is all about refinement“ lautete ihre Überschrift für die laufende Saison. Die Miss-Dior-Mäntel der Herbst- und Winterkollektion von Maria Grazia Chiuri wären dafür ein Beispiel. Sie verbeugen sich vor der eleganten Handschrift des Modeschöpfers Marc Bohan, der 28 Jahre lang dem Haus Dior die Richtung gab. Bei Saint Laurent taucht die transparente Bluse mit und ohne Schleife wieder auf. Bei Givenchy die typisch wehende Schleppe zum Abendkleid. Der Blick wendet sich zurück und sucht nach Wahlverwandtschaften, nach Vergewisserung. Das Stichwort sophistication fällt.
Ich mag das Bild der Wintersonne lieber. Die Wärme, die es mitbringt. Meine erste Strickjacke kommt mir in den Sinn, jener Moment, in dem ich mit diesem selbst gestrickten Jäckchen versuchte, eine Dame zu imitieren, die mit reichlich Schmuck und stolzem Gesichtsausdruck auf dem Sofa einer Hotellobby saß.
Wie sie ihren Pelz, so legte ich mir die Kinderstrickjacke um die Schultern, verschränkte die Arme unter der Wolle und beobachtete aus den Augenwinkeln. Es muss komisch, vielleicht auch hilflos rührend ausgesehen haben. Fast eine kleine Theaterszene. Eine Strickjacke jedenfalls war danach nie wieder einfach nur eine Strickjacke für mich.
Womöglich ist es bloß eine persönliche Macke, aber ich habe fast jedes Kleidungsstück im Verdacht, heimlich etwas über das Leben zu wissen. Deshalb zum Schluss, und weil wir die Wintersonne dringend gebrauchen können: Sehen Sie doch bitte einmal selbst in Ihrer Garderobe nach. Finden Sie die Erinnerungen. Den Trost. Er muss auch nicht unbedingt aus Wolle oder Leder sein. Topaktuell könnte er genauso gut mit Schleife oder im Leopardenprint erscheinen.