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Gelähmt wegen Lindner? Als Ökonom ernsthaft Habeck verteidigt, grätsche ich dazwischen


Es scheint, als müssten wir uns bis nächstes Jahr gedulden. FDP-Chef Lindner und CSU-Boss Markus Söder warnen zu Recht, dass eine Verzögerung der Vertrauensfrage und Neuwahlen das Land fundamental schwächen würden.

Doch die aktuelle politische Schieflage in unserem Land hat einen Vorteil: Endlich wird über die Wirtschaft gesprochen! Endlich steht sie im Fokus. Was in amerikanischen Wahlkämpfen schon immer gegolten hat, gilt nun auch für unseren bevorstehenden Wahlkampf in Deutschland: It’s the economy, stupid! Gut so!

Aber Sie wären hier bei „Nena und die andere Meinung“ ja fehl am Platz, wenn es nur meine Meinung für Sie zu lesen gäbe. Ein deutscher Ökonom, den ich schätze – gerade weil er fast alles anders sieht als ich – ist Maurice Höfgen. Genau aus diesem Grund gibt es diese Woche keinen besseren Diskussionspartner für mich. Ich greife zum Hörer.

“Christian Lindner war ein schlechter Finanzminister“

Brockhaus: „Guten Morgen, Maurice, wo erreiche ich dich?“

Höfgen: „Guten Morgen, Nena, mit dem zweiten Kaffee am Schreibtisch im schönen Mönchengladbach.

Brockhaus: „Maurice, auf Instagram hast du geschrieben, dass die Meldung, Scholz entlasse Lindner, ein Kunstwerk sei.Warum?“

Höfgen: „Weil Christian Lindner ein schlechter Finanzminister war.“

Brockhaus: „Inwiefern?“

Höfgen: „Er hat in den letzten Jahren nicht pragmatisch, sondern ideologisch regiert. Er hat sich zu sehr an die Schuldenbremse geklammert, obwohl es viele Möglichkeiten gegeben hätte, gesichtswahrend mehr Geld auszugeben – beispielsweise durch eine Notlage wegen des Krieges oder mit Tricks, die die Schuldenbremse erlaubt.“

Brockhaus: „Welche wären das?“

Höfgen: „Kapitalspritzen für die Bahn etwa. Zusätzlich hat er auch als Liberaler versagt. Ein liberaler Finanzminister sorgt für echte Steuersenkungen oder streicht unnötige Kleinststeuern, anstatt sich an die Schuldenbremse zu klammern. Das war die falsche Priorität.“ 

“Wenn die Wirtschaft kriselt, muss der Staat aufs Gaspedal treten”

Brockhaus: „Aber du bist doch jemand, der sich stets für Fairness gegenüber künftigen Generationen ausspricht. Und als Ökonom bist du doch bestimmt auch für Disziplin in der Haushaltsführung. Warum hätte Christian Lindner die Schuldenbremse aussetzen sollen?“

Höfgen: „Wenn es einen Konsens unter Ökonomen gibt, dann diesen: Wenn die Wirtschaft kriselt, muss der Staat aufs Gaspedal treten, also entweder mehr Geld ausgeben oder die Steuern senken und damit neue Schulden machen. In so einer Zeit kein Konjunkturpaket aufzulegen und keine neuen Schulden zu machen, ist schlicht falsch. In Frankreich oder den USA hat man Konjunkturpakete aufgelegt und neue Schulden gemacht, und siehe da: Die Wirtschaft wächst, während sie hier lahmt.

Brockhaus: „Einspruch! Nicht alle Ökonomen befürworten die Aussetzung der Schuldenbremse. Nehmen wir Hans-Werner Sinn, Lars Feld oder Clemens Fuest. Insgesamt sind die Ökonomen der sogenannten neoklassischen oder ordoliberalen Schule, die in Deutschland glücklicherweise eine starke Tradition hat, für die Schuldenbremse.“

Höfgen: „Clemens Fuest ist beispielsweise für ein Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen, weil er anerkennt, dass die Spielräume der Schuldenbremse nicht ausreichen, um Deutschlands Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Der Wind hat sich gedreht. Immer mehr konservative Institutionen empfehlen eine Reform: die Bundesbank, der Internationale Währungsfonds und sogar die Wirtschaftsweisen. Am Ende ist ja die Ampel daran zerbrochen, dass Lindner die Schuldenbremse höher hängt als die Unterstützung für die Ukraine oder große Konjunkturpakete.“

“Wenn der Finanzminister blockiert, ist auch der Wirtschaftsminister eingeschränkt”

Brockhaus: „Christian Lindner hat genau das getan, was die Bürger von der Politik fordern. Die große Mehrheit der Bürger will die Ampel nicht, sondern Neuwahlen. Lindner hat in diesem Fall seine persönliche Karriere dem Land untergeordnet. Dafür gebührt ihm Respekt. Die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, warnt seit langem vor der wirtschaftsfeindlichen Ampelpolitik, aber nicht vor Christian Lindner, sondern vor Wirtschaftsminister Robert Habeck.“

Höfgen: „Ein Wirtschaftsminister kann aber nur soweit gute Wirtschaftspolitik machen, wie er auch Geld zur Verfügung hat. Wenn der Finanzminister blockiert, ist auch der Wirtschaftsminister eingeschränkt. Nichtsdestotrotz trägt die gesamte Ampel die Verantwortung dafür, dass Deutschland stagniert und wir immer noch auf dem Vor-Corona-Niveau rumkrebsen. Nur noch einmal: Dafür hätte es eben Geld gebraucht, und der Lindner-Plan – das 18-seitige Papier – bot keine guten Alternativvorschläge.“

Brockhaus: „Was missfällt dir an dem Papier?“

Höfgen: „Es würde die Wirtschaft verunsichern, wenn zwar die Unternehmenssteuern gesenkt, dafür aber Subventionen, Fördermittel und Klimaschutzverträge gestrichen würden. Das wäre gerade für die energieintensive Industrie ein absoluter Schock. Lindner setzt beim Klimaschutz vor allem auf den CO₂-Preis und den Emissionshandel. Doch niemand weiß, wie sich der CO₂-Preis in den nächsten Jahren entwickelt. Schwankende oder schlagartig steigende CO₂-Preise verhindern Investitionen. Lindners Plan war also fehlgeleitet.“

Widerspruch bezüglich Habeck

Brockhaus: „Nun ja, aus Wirtschaft und Wissenschaft kam viel Beifall für Lindners Positionspapier. Der CO₂-Grenzausgleich ist ein harmloser Begriff für die von der EU organisierte Deindustrialisierung. Es ist richtig und wichtig, dass Lindner darauf hinweist. Ich möchte dir auch bezüglich Habeck widersprechen. Er ist keine „lame duck“ wegen Lindner, sondern weil er es schlicht nicht kann. Denken wir an seinen Umgang mit der Energiekrise, dem Atomausstieg, seinem handwerklich misslungenen Heizungsgesetz oder die Vetternwirtschaft im Graichen-Clan. Aber blicken wir nach vorn: Du stimmst mir doch zu, dass die Auflösung der Ampel für die Wirtschaft gut ist, oder?“

Höfgen: „Das hängt davon ab, was auf die Ampel folgt. Klar, die Streiterei in der Ampel war Gift für die Lage. Wenn allerdings die Zukunft einen Bundeskanzler Friedrich Merz mit vielleicht Finanzminister Christian Lindner bedeutet, dann sehe ich keinen Fortschritt. Dann wird an den falschen Enden gespart und es gibt soziale Einschnitte. Vor allem wird es für grüne Wachstumsbranchen schwer, während es lebensverlängernde Maßnahmen für die fossile Industrie geben wird. Das ist die falsche Ausrichtung.“ 

Brockhaus: „Wir brauchen die fossile Industrie. Alles andere ist Augenwischerei. Das Verbrenner-Aus ist reiner Unsinn. Was Deutschland wirklich braucht, ist weniger Bürokratie. Unser Land ist viel zu sehr in ineffizienten Prozessen und kleinlichen Regularien verstrickt. Das ist eine der Hauptursachen der aktuellen Wirtschaftsflaute, die sich über Jahrzehnte aufgebaut hat.“

Höfgen: „Jeder ist gegen Bürokratie. Ich auch. Aber damit lässt sich nicht erklären, warum die deutsche Wirtschaft seit der Ampel nicht in Schwung kommt. Neben Bürokratieabbau braucht es auch ein klassisches Konjunkturpaket. Olaf Scholz hätte eine neue Bazooka oder einen neuen „Bums“, wie er es in seiner Comicsprache nennt, rausholen müssen.“

“Ja, bitte schnelle Neuwahlen!“

Brockhaus: „Glaubst du, das wird noch passieren? Findest du es sinnvoll, dass Olaf Scholz bis Januar weiterregieren will, anstatt jetzt Neuwahlen abzuhalten? Ein Weiterregieren ist doch absolut verantwortungslos und lässt die drängenden Probleme unseres Landes nur noch größer werden.“

Höfgen: „Da stimme ich dir zu. Man sollte jetzt noch die nächsten zwei, drei Sitzungswochen nutzen, vielleicht den November, um alle Gesetze, die die Ampel noch durchbringen wollte, abzuschließen. Zum Beispiel das Rentenpaket, die Mietpreisbremse und die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen. Auch den Haushalt 2025 könnte man noch verabschieden, so wie er bereits vereinbart wurde.“

Brockhaus: „Dann könnte man Neuwahlen aber frühestens im Januar durchführen.“

Höfgen: „Ja, das ist ein sportliches Programm, aber  besser als eine lange Hängepartie – erst recht, wenn international gerade die Karten neu gemischt werden. Stichwort Donald Trump. Wenn Olaf Scholz als „lame duck“ mit Trump über Strafzölle verhandeln muss, wird mir angst und bange. Also: Ja, bitte schnelle Neuwahlen!“

Brockhaus: „Immer schön, am Ende einen übereinstimmenden Punkt zu finden: Wir sind beide gegen eine lange Hängepartie. Danke für die spannende Debatte. Bis bald!“

Den anderen Blickwinkel zu betrachten, erweitert stets den Horizont. Doch mich interessiert am meisten, was Sie denken, liebe Leser. Sind Sie diese Woche Team Höfgen oder Team Brockhaus? Seien Sie sich gewiss, ich lese immer all Ihre Kommentare – jeden einzelnen, jede Woche. In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder.
Ihre Nena Brockhaus.





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