Berlin hat manchmal wenig mit Berlin zu tun. Während in der Berliner Hauptstadtpolitik die Bundesregierung gerade daran gescheitert ist, sich auf einen Haushalt für das kommende Jahr zu einigen, schloss die Berliner Landespolitik das Manöver am Dienstag erfolgreich ab.
Die Bundesregierung aus SPD, Grüne und FDP war an rund 11 Milliarden Euro in einem avisierten Haushaltsvolumen von 481 Milliarden Euro gescheitert – und an unüberwindbaren Differenzen zum Umgang mit der Schuldenbremse. Die Berliner Landesregierung aus CDU und SPD musste 3 Milliarden Euro aus einem Haushalt von 42 Milliarden Euro kürzen.
Im Berliner Regierungsviertel gab es viel Krawall und kein Ergebnis. Beim Berliner Sparhaushalt gab es den Krawall erst nach dem Ergebnis und nicht von den Koalitionären, sondern von den Betroffenen. Vor allem die Kulturszene ist aufgebracht über den millionenschweren Sparbeitrag, den sie erbringen soll. Aber auch die Wohlfahrtsverbände sprechen von einem drastischen Einschnitt in die Sozialstruktur Berlins. Für den 5. Dezember ist eine Demonstration gegen die Kürzungen geplant.
Berlin verhandelte parallel zum Bund
Der geräuschlose Ablauf in den Verhandlungen ist nach Einschätzung des Berliner Finanzsenators Stefan Evers der entscheidende Erfolgsfaktor in den Haushaltsverhandlungen, die mehrere Monate lang parallel zu den Verhandlungen im Bund verliefen. „Im Grunde haben wir immer zur Ampel geschaut“, berichtet der CDU-Politiker im F.A.Z.-Podcast für Deutschland. „Wir waren uns alle einig: So möchten wir nicht verfahren. Manchmal hilft auch das abschreckende Beispiel.“ Ebenso wichtig war nach Evers’ Urteil: Es musste ein „Mentalitätswechsel“ her, auf allen Ebenen. „Die ganze politische und gesellschaftliche Landschaft kannte in den letzten Jahren nur gigantisch aufwachsende Staatsausgaben“, sagt Evers.
Bundes- und Landespolitik sind nur schwer vergleichbar. Der Bund hat mit seinen Verteidigungskosten und den hohen Sozialausgaben vor allem für die Rente große Ausgabenposten, die den Ländern erspart bleiben. Dagegen leistet sich die Metropole, die am Tropf des Länderfinanzausgleichs hängt, auch nach dem Sparhaushalt noch Vergünstigungen für ihre Bürger, die der Rest des Landes sich größtenteils verkneift: kostenlose Kitaplätze, kostenloses Schulessen und kostenlose Tickets für den öffentlichen Nahverkehr. In Berlin profitieren davon alle Kinder, unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern.
Das 29-Euro-Ticket fällt den Kürzungen zum Opfer
Dass dies selbst in Zeiten eines Sparhaushalts nicht geändert wird, sorgt für viel Kritik. Doch die „Gratisstadt“ ist ein Herzensprojekt der Berliner SPD, das von der Spitze noch immer mit Verve verteidigt wird, obwohl es inzwischen auch innerhalb der Partei kritisch gesehen wird. Dagegen fand der erst im Juli eingeführte Sonderrabatt für den ÖPNV, das 29-Euro-Ticket, ein jähes Ende. Berlin spart sich damit Ausgaben von bis zu 300 Millionen Euro im Jahr.
Der Verkehr gehört zu den Ressorts, die am meisten kürzen mussten. Die Bereiche Bildung und innere Sicherheit wurden dagegen geschont. Um insgesamt 650 Millionen Euro weniger fällt der Verkehrsetat aus. Dabei fielen auch Projekte dem Rotstift zum Opfer, die nach Aussage von Evers „von vornherein auf Sand gebaut“ waren. Man habe einen Realitätscheck vorgenommen.
Konkret nennt Evers Ausbaupläne im öffentlichen Nahverkehr und dichtere Takte für Busse und U-Bahnen. „Wir merken heute schon, dass uns die Busfahrer fehlen, um den bestehenden Takt mit Leben zu erfüllen“, argumentiert der Jurist. Erhalten bleiben die im Bundesvergleich niedrigen Parkgebühren für Anwohner: 20,40 Euro kostet die Plakette im Jahr in Berlin, zumindest vorerst.
Keine Zuschüsse sondern Kredite
Ein wichtiger Baustein im neuen Haushalt sind „alternative Finanzierungsformen“. Davon bleibt auch die Kultur nicht verschont. Dort soll das finanzstarke Bürgertum künftig Lücken füllen, und die Unternehmen sollen Verantwortung für eine lebendige Kunstszene zeigen. Kultursenator Joe Chialo (CDU) schweben Sponsoringprogramme wie die von BMW an der Staatsoper Unter den Linden vor, wie er der F.A.Z. erläutert.
Erprobter sind die Wege, die der Senat mit seinen landeseigenen Gesellschaften einschlägt. Berlin habe nach wie vor ein gewaltiges Defizit im Bereich des Wohnungsbaus, sagt Evers. „Deshalb haben wir nicht das Volumen der Wohnungsbauförderung verringert, sondern die Finanzierungssystematik verändert.“ Die Wohnungsbaugesellschaften sollen die Mittel für den Neubau in Höhe von 125 Millionen Euro nicht mehr als Zuschuss ausgezahlt bekommen, sondern als Kredit. Der dadurch entstehende Darlehensanspruch wird dann zur „finanziellen Transaktion“, die den Haushalt formell nicht belastet.
Ähnliches hatte der Bund auch erwogen und mit den geplanten Eigenkapitalerhöhungen für die Deutsche Bahn schon in Angriff genommen. Auch das sorgte in der Bundesregierung im Sommer für Streit. Der Plan, Zuschüsse für die Autobahn GmbH in Kredite umzuwandeln, scheiterte an verfassungsrechtlichen Bedenken. Das bundeseigene Unternehmen hat keine Einnahmen, mit denen sich Kredite zurückzahlen lassen.
Viele neue „Schattenhaushalte“?
Den häufig erhobenen Vorwurf, über Darlehen „Schattenhaushalte“ aufzubauen, kontert Evers: „Es sind andere Finanzierungskreisläufe, aber sie sind alles andere als intransparent. Ganz im Gegenteil: Viele werden unmittelbar dem Verschuldungsstand des Staates zugerechnet. Insbesondere für Berlin kann ich sagen: Das Parlament ist in all diesen Fragen bestens informiert und auch involviert.“
Genau wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), spricht Evers sich für eine Reform der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse aus. Wegner war in diesem Punkt schon früh in Opposition zum CDU-Parteichef Friedrich Merz gegangen, der zu Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung eine Reform stets abgelehnt hat. Für die neue Legislaturperiode zeigt Merz sich inzwischen offener für eine Reform. Evers plädiert für eine „bessere Schuldenbremse“. Die reformierte Regel müsse allerdings „sehr klar konditioniert“ sein, fordert er. „Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen: Wenn man die Schuldenbremse anfasst, darf nie wieder passieren, dass künftigen Generationen noch einmal solch einen Instandhaltungsrückstau aufgebürdet bekommen, wie wir ihn aktuell erleben.“