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Bundesverfassungsgericht urteilt zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen

Bundesverfassungsgericht urteilt zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen


Stand: 26.11.2024 05:09 Uhr

Normalerweise darf jeder in Deutschland selbst entscheiden, ob er Medikamente nimmt oder nicht. In Ausnahmefällen ist eine ärztliche Zwangsbehandlung möglich – allerdings nur in einem Krankenhaus. Ein Urteil aus Karlsruhe könnte das jetzt ändern.

Medikamente nehmen oder sich medizinisch behandeln lassen – es ist grundsätzlich die Freiheit jedes einzelnen, ob er das machen will oder nicht. Bei Menschen, die psychisch krank sind oder an Demenz leiden, kann es aber mit der freien Entscheidung über eine ärztliche Behandlung schwierig sein.

Wenn die Einsichtsfähigkeit eingeschränkt ist, Patientinnen und Patienten sich gegen die Behandlung sträuben und ohne Behandlung ein schwerer Schaden droht, dürfen ihnen unter Zwang von einem Arzt Medikamente gegeben werden. Ein Betreuungsgericht muss das immer absegnen.

Außerdem gilt: Zwangsbehandlungen dürfen nur in einer Klinik vorgenommen werden, wo die Patientinnen und Patienten bestmöglich betreut sind – aber nicht zum Beispiel in einem Pflegeheim.

Eine Zwangsbehandlung in gewohnter Umgebung?

Aber wäre es für manche Menschen nicht besser, wenn sie in ihrem persönlichen Umfeld – beispielsweise in einem Pflegeheim – ihre Medikamente bekämen? Die Frage stellte sich auch bei einer Frau aus Lippstadt, die unter paranoider Schizophrenie leidet. Sie wurde regelmäßig in einer Klinik mit Medikamenten zwangsbehandelt. Ihr Betreuer meinte, dass sie der Transport in die Klinik jedes Mal zusätzlich traumatisiere.

Auch der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass es Grundrechte von Patienten verletze, wenn die Zwangsbehandlung nur in Kliniken möglich sei. Die Behandlung in gewohnter Umgebung sei oft weniger belastend.

Der BGH legte den Fall dem Verfassungsgericht vor, das bei der Verhandlung im Juli viele Sachverständige hörte.

Drohen immer mehr Zwangsbehandlungen?

Gegen die Zwangsbehandlung im Pflegeheim oder zu Hause sprach sich bei der Verhandlung in Karlsruhe Wassili Hinüber von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie aus. Er betonte, dass bei Menschen, die psychisch krank sind, eine Zwangsmedikation weiterhin den Kliniken überlassen bleiben sollte. Man dürfe, “keinesfalls ein neues Feld aufmachen mit der Behandlung zu Hause – weil wir dann fürchten, dass die Dunkelziffer der Zwangsbehandlungen sehr hoch werden wird”. 

Gericht müsste entscheiden

Eine hohe Dunkelziffer, immer mehr Zwangsbehandlungen in Pflegeheimen oder zu Hause – diese Gefahr sieht Thomas Pollmächer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, hingegen nicht, “wenn man alle anderen Voraussetzungen, die das Gesetz jetzt schon vorsieht, beibehält”.

Wenn die Prüfung, ob überhaupt eine Zwangsbehandlung durchgeführt wird, genauso gemacht werde wie bisher, dann habe er keine Bedenken. Zwangsbehandlungen müsse ja auf jeden Fall ein Betreuungsgericht anordnen. Das sei ausreichend Sicherheit für die Patienten, sagt Pollmächer.

Ist die medizinische Überwachung zu Hause ausreichend?

Kritiker von Zwangsbehandlungen betonen hingegen: Patienten, die zum Beispiel starke Psychopharmaka bekommen, müssten medizinisch nachbehandelt werden und oft mehrere Stunden unter medizinischer Kontrolle sein. Das sei in einem Pflegeheim nicht machbar.

Annette Loer, Richterin in Hannover und stellvertretende Vorsitzende des Betreuungsgerichtstags, befürchtet bei Zwangsbehandlungen außerdem, dass diese weniger kritisch geprüft würden, “wenn die Spritze nach Hause kommt”. Das sei für alle Beteiligten dann der einfachere Weg. Aus Sicht der Patientinnen und Patienten könne das problematisch sein. Aufwendigere Alternativen zu einer Zwangsbehandlung würden dann regelmäßig weniger geprüft.

Was das Verfassungsrecht verlangt

In der Verhandlung in Karlsruhe im Juli wurde klar: Medizinische Behandlungen unter Zwang sind immer belastend und sollen die Ausnahme bleiben. Aber ist das in einem Gesundheitssystem gewährleistet, wo es oft schnell und aus Kostengründen auch effizient zugehen muss? Führen Zwangsmaßnahmen außerhalb von Kliniken zu mehr Zwang?

Diese Fragen werden die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nun entscheiden. Das Urteil wird ab 10.00 Uhr verkündet.



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