Kolumne von Susan Arndt: Baerbocks Trennung ist ein Paradebeispiel für sexistische Doppelmoral in Deutschland
Sonntag, 24.11.2024, 14:12
Annalena Baerbocks Trennung zeigt erneut, wie viel Frauen in der Politik aushalten müssen. Sexistische Anfeindungen, Hasskommentare und eine Gesellschaft, die keine emanzipierten Frauen tolerieren will. Es ist ein sexistischer Sturm, der am Ende uns allen schadet.
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Wann immer ich hier eine Kolumne schreibe, lassen Hasskommentare nicht lange auf sich warten. Viele halten es für notwendig, dabei wiederholt über mich als „Frau Arndt“, zu sprechen. Dabei werde ich das Gefühl nicht los, dass allein dadurch schon diskreditiert werden soll, dass ich überhaupt eine vernünftige Meinung haben könnte. „Was befähigt Sie, Frau Arndt, denn dazu, eine Kolumne zu schreiben? Und überhaupt, wer kümmert sich denn jetzt um ihre Familie?“
Das ist ein gängiges Phänomen, dem Politikerinnen ganz besonders ausgesetzt sind. Kompetenzen und Eignungen für den Beruf werden grundsätzlich aufgrund des Geschlechts infrage gestellt. Und fehlende Sorgearbeit wird unterstellt.
Es scheint von Menschen mit reproduktiven Organen wird immer noch (teilweise bewusst/teilweise unbewusst) gefordert, diese Organe ganz in die Dienste der Gesellschaft zu stellen. Und wenn ein, zwei Kinder einmal ausgetragen wurden, ja wie kann es dann sein, dass diese Frau auch noch Zeit für einen Beruf, gar einen zeitintensiven wie in der Berufspolitik, ausübt?
Damoklesschwert der Kindeswohlvernachlässigung hängt permanent über berufstätigen Frauen
Das Damoklesschwert der Kindeswohlvernachlässigung hängt permanent über berufstätigen Frauen. Berufspolitikerinnen müssen sich gegen derartige Angriffe präventiv wappnen.
Umgekehrt ist es die Bedeutung von Mutterschaft in dieser Gesellschaft dafür verantwortlich, dass die erste Bundeskanzlerin Deutschlands kurzerhand zur „Mutti“ der Nation erklärt wurde. Obwohl sie Mutter von Kindern ist, wurde sie immer wieder als kinderlos bezeichnet, weil sie diese nicht selbst zur Welt brachte. Wohl auch deswegen der Mutti-Titel.
Über Susan Arndt
Susan Arndt ist Professorin für Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth. Nach einem Studium der Germanistik, Anglistik und Afrika-Literaturwissenschaft in Berlin und London promovierte sie zu Feminismus in der nigerianischen Literatur und Oratur.
In ihrem neuen Buch „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD – Eine Intervention“ gibt sie der oft übersehenen Mehrheit an Ostdeutschen, die nicht die AfD wählen, eine Stimme.
Puh, gerade nochmal so die meistbeschäftigte Frau des Landes doch noch zur reproduktiven Arbeiterin erklärt. Sie hat halt einfach 82 Millionen Kinder. Na gut, dann darf sie sich auch Vollzeit um diese kümmern.
Annalena Baerbock trennt sich von ihrem Mann: Reaktionen sprechen Bände
Die zweite Kanzlerkandidatin (2021) Deutschlands, Annalena Baerbock, ist ebenfalls Mutter. Zusammen mit ihrem Mann hat sie zwei Kinder. Im gegenseitigen Einverständnis hat sich das Ehepaar nun getrennt.
Das erklärten die beiden vor einigen Tagen: „Wir haben in einem längeren Prozess gemeinsam vor einiger Zeit entschieden, dass wir kein Paar mehr sind“.
Alles klar, dachte ich und machte die Meldung wieder zu. Und ich hätte solch einer Meldung wohl keinerlei weitere Beachtung geschenkt, wäre sie mir nicht immer wieder in die diversen Timelines und Newsfeeds gespült worden.
Allein bereits das Ausmaß der öffentlichen Reaktion auf die Erklärung des geschiedenen Ehepaares unterstützt schon meinen vorherigen Punkt. Wer wüsste beispielsweise von der Trennung des zweifachen Familienvaters Cem Özdemirs im November 2023 von seiner damaligen Frau? Und was sagt diese Tatsache über seine Eignung als Landwirtschaftsminister aus? Genau.
Aber dass hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird, ist ja nun leider, wie gesagt, nichts Neues. Das eigentliche Erschreckende an der öffentlichen Rezeption von Baerbocks Trennung ist nun vor allem auch, wie diese Trennung diskutiert wird.
Hass gegen Grüne ist auch eine Ursache für die massive Häme gegen Baerbock
Natürlich ist der breit angestachelte sowie derzeit immer weiter anwachsende Hass gegen die Grünen auch eine Ursache für die massive Häme, mit der Baerbock in dieser Situation bedacht wird. Doch wie diese hassbasierte Häme konkret umgesetzt wird, hat eine sexistische Handschrift.
Seitdem Baerbock Außenministerin wurde, wurde sie sexistisch kommentiert. Ganz Deutschland redete über ihre Stimme, ihr Outfit – und spätestens seit Angela Merkel wissen wir, dass von Politikerinnen erwartet wird, dass sie ihrem Äußeren extrem viel Zeit schenken müssen – weil das sonst allgemeines Ärgernis erregt.
Zur anderen Seite der Medaille gehört es, dass – und das machte u.a. Silvana Koch-Mehrin von der FDP öffentlich – Frauen nicht nur unaufhörlich Kommentaren über ihr Aussehen, über ihren Körper ausgesetzt sind – sondern auch sexueller Belästigung durch Parteikollegen. Zudem stellen Medien wie Privatpersonen immer wieder die Frage, wann sie sich Politikerinnen, die Mütter sind, denn überhaupt noch um ihre Kinder kümmern.
Bei Annalena Baerbock geschieht dies gefühlt täglich. Bei jedem Schritt, den sie als Außenministerin tätigt. Dass ihr Mann viel dieser Care-Arbeit leistet, empört viele. Entsprechend scheint es bei ihrem politischen Spiegelbild Robert Habeck niemanden zu interessieren, wie der sich um seine immerhin doppelt so vielen Kinder kümmern kann.
Baerbocks Trennung verschärft sich Schieflage
Jetzt, da Baerbock und ihr Mann sich trennen, verschärft sich diese Schieflage. Die beiden haben die Gründe ihrer Trennung nicht kommuniziert. In der veröffentlichten Erklärung hieß es lediglich: „Vor allem zum Wohl unserer Kinder bitten wir eindringlich darum, die Privatsphäre unserer Familie zu respektieren.“
Doch weite Teile der Gesellschaft scheinen diesen Respekt nicht aufbringen zu wollen. Weit mehr Leute als jene, die wohl regelmäßig die Klatschpresse lesen, geben vor, die Gründe für die Trennung zu kennen. Dabei dürfte doch selbst die Klatschpresse relativ wenig über Baerbocks Privatleben wissen.
Doch das Urteil ist für viele hobbymäßigen Bundes-Psycholog*innen und Bundes-Familienrichter*innen der Republik eindeutig: Baerbock muss schuldig sein. Woran? Egal. Und auf welcher Grundlage? Nun ja, weil sie eine Frau ist. Oder genauer gesagt, weil sie sexistischen Vorstellungen davon, wie und was eine Frau zu sein hat, nicht entspricht – weil sie sich nicht mit ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau begnügte.
Eine Außenministerin, die angibt, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen, nimmt sich heraus, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Für die Kritiker*innen ihrer Politik von Rechtsaußen ist das eine so wie das andere ein Ausdruck von etwas, das ihnen längst zu weit geht: Emanzipation und Gleichberechtigung.
In der auf Baerbock gerichteten Hasskampagne sind die Kinder die Leidtragenden
Mit dieser Art von Argumentation konfrontiert, wird es schließlich fast unmöglich, wichtige und relevante Kritik an tatsächlichen politischen Maßnahmen zu äußern, die man aus den ein oder anderen Gründen für zu progressiv oder aber für nicht progressiv genug bewerten könnte. Privat- und Berufsleben werden statt zwei getrennter Sphären zu einer gemischt und vermeintliche Rückschlüsse von dem einen in das andere gezogen. Doch auch nur dann, wenn es gerade passend scheint.
Dass ein notorischer Fremdgänger und mehrfach verurteilter Sexualstraftäter gerade zum zweiten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, ist dabei nur die Spitze eines bigotten Misogynie-Eisbergs.
In der auf Baerbock gerichteten Hasskampagne sind nicht zuletzt diejenigen, die viele Online-Hater angeblich zu schützen suchen, die großen Leidtragenden: die Kinder. Doch diese Form der paradoxen Hasslogik schlägt sich nicht nur negativ auf das Wohl der Kinder, sondern auf das Wohl der gesamten politischen Landschaft aus.
Die Menschenfeindlichkeit und Schadenfreude, die aus vielen Kommentaren spricht, schadet letztlich uns allen. Hass trifft zuallererst die Privatpersonen, gegen die er gerichtet ist. Zudem vergiftet er den gesamten Diskurs und richtet sich gegen das gemeinsame Zusammenleben im Sinne der Werte, für die ich tagtäglich streite.
Auch wenn ich nicht immer mit der Politik Annalena Baerbocks übereinstimmen mag, spreche ich der Privatperson Baerbock meine volle Solidaritätsbekundung aus und wünsche allen Lesenden, dass sie niemals einer solchen Kampagne ausgesetzt werden. Zum Wohle aller.