Die letzten Stunden eines UN-Gipfels sind stets die längsten, aber die entscheidenden. Das war bei der Klimakonferenz COP23 in Baku nicht anders. Es brauchte mehrere Verlängerungen, bis eineinhalb Tage nach dem geplanten Ende die wichtigste Frage geklärt war – wenngleich nicht zur allgemeinen Zufriedenheit: In den kommenden zehn Jahren sollen 300 Milliarden US-Dollar jährlich von den Industrienationen für Klimaschutz und die notwendige Anpassung an die Klimafolgen bereitgestellt werden.
Gefordert – und von der Wissenschaft für nötig befunden – war mehr als das Vierfache. Und so zeigte sich in der Hauptstadt von Aserbaidschan einmal mehr, dass Klimakonferenzen nach einem sehr eigenen Muster funktionieren. Und selten passte der Austragungsort so gut zum Verlauf der eigentlichen Verhandlungen wie dieses Jahr. Zwei Wochen hetzten Ministerinnen, Aktivisten, Staatschefinnen und Unterhändler in den düsteren Tunneln des Olympiastadions von Baku von einem Treffen zum nächsten, von Verhandlungsräumen zu Diskussionsrunden. Fenster gibt es in den Stadion-Katakomben keine, ebenso wenig wie Tagesslicht. Dafür aber unendlich viele Abzweigungen und Türen, die zum Verlaufen einladen oder in Sackgassen enden.
Gleiches galt für die Verhandlungen auf dem Gipfel, denn zäher und orientierungsloser hätten sie kaum sein können. Erst spät am Samstagzeigte sich Licht am Ende des Tunnels. Zeitweilig hatten Inselstaaten und die ärmsten Länder (LDC’s) aus Protest den Verhandlungsraum verlassen. Auch die deutsche Staatssekretärin und Sondergesandte für Klimawandel, Jennifer Morgan, verließ schnaubend den Saal. Es ging nichts mehr. Weder wurde verhandelt noch wusste selbst die erfahrensten Delegationen, was gerade Stand der Dinge war.
Eine Gemengelage, die Klimakonferenzen zum Scheitern bringt. “Nichts geht mehr”, hieß es von Vertretern eines Entwicklungslandes zur DW. Die Zeit spiele gegen sie. Und damit sind die Länder gemeint, die sich von der Klimakonferenz deutlich mehr Unterstützung beim Klimaschutz erhofft hatten – die Länder des globalen Südens.
Es ging also um Geld, deutlich mehr Geld, als bisher an Entwicklungsländer gezahlt wurde. Zahlen sollen vor allem Industrieländer, denn sie sind hauptverantwortlich für die erderwärmenden Treibhausgasemissionen und damit für den Klimawandel. Bekommen sollen es die Entwicklungsländer, die besonders unter Dürren, Überflutungen, Stürmen und dem Anstieg des Meeresspiegels leiden. Die Kosten für diese Klimafolgen übersteigen häufig ihre finanziellen Möglichkeiten.
Allerdings: Das Thema Geld ist immer schwierig – auch auf der diesjährigen Klimakonferenz. Doch nun steht ein Deal zur neuen Klimafinanzierung.
Der verabschiedete “Fahrplan von Baku nach Belem zur Erreichung von 1,3 Billionen“ ist ein Minimalkonsens mit dem kaum eine Partei glücklich sein dürfte. Auch wenn die Industriestaaten ihre Klimahilfen für ärmere Staaten tatsächlich verdreifachen. Denn als Gesamtziel wird die Summe von 1,3 Billionen US-Dollar genannt, an der aber auch Entwicklungsbanken und private Geldquellen beteiligt werden sollten, ebenso wie andere Geberländer als nur die Industriestaaten.
“Die Kunst des Verhandelns besteht darin, den richtigen Kompromiss zu finden, der von niemandem aktiv abgelehnt wird”, sagte So LI Shuo , Direktor des China Climate Hub des Asia Society Policy Institutes zur DW. “Es wird nie darum gehen, eine Zahl zu finden, die irgendjemand oder alle von ganzem Herzen annehmen werden.”
Von ganzem Herzen kann bei der Abschlusserklärung in der Tat nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Viele Entwicklungsländer sind empört. “Wir, die besonders gefährdeten Länder, sitzen im Vergleich zu den Industrieländern in einem ganz anderen Boot,” sagt Cedric Schuster, der samoanische Vorsitzende der Gruppe. “Nach dem Ende dieser COP29 können wir nicht einfach in den Sonnenuntergang segeln. Wir werden buchstäblich untergehen. Verstehen Sie das? Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass unsere Inseln untergehen!”
Dabei sprechen die wissenschaftlichen Zahlen eine klare Sprache. Der Folgebericht der High-Level-Group (IHLEG), einer Runde von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, der während der diesjährigen COP in Aserbaidschan erschien, warnt vor einer Verzögerung und Verfehlung des Finanzierungsziels. Denn das würde “einen steileren und potenziell kostspieligeren Weg zur Klimastabilität” bedeuten. “Je weniger die Welt jetzt erreicht, desto mehr werden wir später investieren müssen”, heißt es in dem Bericht.
Die Investitionen in allen Bereichen des Klimaschutzes müssen in allen Staaten steigen. Bis 2030 würden durchschnittlich 6,5 Billionen US-Dollar pro Jahr benötigt, um die Klimaziele in den Industrienationen, in China und den am wenigsten entwickelten Ländern zu erreichen.
Neben dem Schutz von Menschenleben vor Klimakatastrophen geht es in der Studie über die Klimafinanzierung auch um wirtschaftliche Vorteile, die rasche Investitionen in den Klimaschutz bieten können. Und es geht darum, wie die Gelder am besten verteilt werden sollten. Afrikanische Länder verfügten beispielsweise über rund zwei Drittel der günstigsten Standorte für die Nutzung von Solarenergie weltweit, sie erhalten jedoch jährlich weniger als zwei Prozent der globalen Investitionen in erneuerbare Energien.
Bisher zahlten die Industriestaaten gemeinsam jährlich 100 Milliarden Dollar für die internationale Klimafinanzierung. Reiche Länder wollten, dass große und finanzstarke Emittenten wie China und Saudi-Arabien ebenfalls ihren Beitrag leisten. Offiziell gelten diese Staaten laut UN-Definition immer noch als Entwicklungsländer und gehören nicht zu der Runde der Geberländer. Somit mussten sie bislang auch keine festen Zusagen in Sachen Klimafinanzierung machen.
China, von dem viele hofften, es könnte eine wichtigere Rolle in der internationalen Klimapolitik einnehmen, verwies bislang auf seine freiwilligen Zahlungen. Nach eigenen Angaben hat die Volksrepublik seit 2016 rund 24,5 Milliarden US-Dollar an Klima-Finanzmitteln bereitgestellt. Auch Vertreter von Umweltorganisationen gaben zu bedenken, dass China allein schon durch seinen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien viel für den weltweiten Klimaschutz tue. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) stammt ein Drittel der weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien aus China. Allerdings stößt auch kein Land so viel Treibhausgase aus wie China.
Bei den umstrittenen Kohlenstoffmärkten erzielten die Verhandler eine Einigung, die es umweltverschmutzenden Ländern erlauben würden, Kohlenstoffkompensationen zu kaufen. Befürworter sagen, die neuen Regeln würden Investitionen in Ländern mit lokalem Einkommen ankurbeln, wo die Kohlenstoffprojekte in der Regel angesiedelt sind. Kritiker sagen jedoch, die Kompensationen könnten zur Verschleierung der Klimaziele verwendet werden.
“Diese Entscheidungen wurden hinter verschlossenen Türen getroffen”, sagte Tamra Gilbertson vom Indigenous Environmental Network gegenüber DW. “Wir wissen, dass andere Kohlenstoffmärkte bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Emissionen völlig versagt haben.”
Alle reden über Geld, doch was ist mit den Treibhausgasen?
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hatte am offiziell letzten Tag der Konferenz noch betont: “Klimafinanzierung funktioniert nicht ohne CO2-Minderung.” Die Folgen und Schäden durch den Klimawandel ließen sich schlicht nicht mehr bezahlen, wenn man die Erdüberhitzung nicht bei etwa 1,5 Grad stoppe, warnte die Ministerin.
Dabei hatte man sich bei der Klimakonferenz im vergangenen Jahr darauf geeinigt, sich nach und nach von den fossilen Energien zu verabschieden. Die sogenannten Like-Minded-Countries, darunter China und Indien, wie auch die afrikanischen Verhandlungsgruppen, wollten sich aber auf dieser COP von Anfang an auf das Finanzierungsziel konzentrieren.
“Wir sind die Länder, die den größten Teil in der Waagschale haben,” sagt Tina Stege, die Klimabeauftragte der Marshallinseln. “Anfällige kleine Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder werden den Preis dafür zahlen. Sie haben keine Sicherheit, dass der mickrige Betrag, der hier aufgeboten wird, unseren Ländern wirklich zugute kommt.”
Die COP29 wurde oft als “Finanz-COP” bezeichnet. Sie hat gezeigt, welche Herausforderungen vor einem globalen Konsens im Klimaschutz zu bewältigen sind. Sie zeigt auch, wo dieses Format an seine Grenzen stößt, weshalb Reformforderungen laut wurden. In einem offenen Brief an die Vereinten Nationen erklärte eine Gruppe von Wissenschaftlern und ehemaligen Staats- und Regierungschefs, die COP sei “nicht mehr geeignet”. Man müsse von Verhandlungen zur Umsetzung übergehen, um “die vereinbarten Verpflichtungen einzuhalten sowie die dringend nötige Energiewende und den Ausstieg aus fossilen Energien zu gewährleisten”.
Redaktionelle Mitarbeit: Jeannette Cwienk, Rolf Breuch
Autor: Tim Schauenberg
Von Tim Schauenberg