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„Jedes frisch verliebte Paar sollte seine Trennung mal gedanklich durchspielen“


FOCUS online: Sie raten Paaren, die Phase der Verliebtheit und Vertrautheit präventiv zu nutzen und eine Grundlage für ein faires Trennungsszenario zu schaffen. Im Ernst? Junge Paare, die frisch verliebt sind und gerade erst zusammengefunden haben, sollen ihre Trennung durchspielen?

Saskia Schlemmer: Das empfehle ich, ja. Das ist nicht unromantisch, sondern schlau. Fakt ist: Jede dritte Ehe wird geschieden. Fakt ist auch, dass die Ehe ein Vertrag ist. Aber ich weiß schon, mit der Frage „Wer hat hier alles einen Ehevertrag?“ kann man so ziemlich jede Party sprengen…

Warum eigentlich?

Schlemmer: Die gängige Vorstellung von der Ehe ist: Sie ist ein Bekenntnis der Liebe.

Aber das ist sie doch auch?

Schlemmer: Das bestreite ich ja gar nicht. Ich bin auch Team Ehe, bin selbst verheiratet, ich glaube an die Liebe. Ich sage auch klipp und klar: Die Ehe ist ein Modell, das auch in Zukunft Bestand haben wird. 

Aber?

Schlemmer: Angesichts der Scheidungsraten wäre es naiv zu glauben: Eine Scheidung kann mich oder uns nicht treffen. Der Aspekt des Scheiterns mit all seinen Konsequenzen muss berücksichtigt werden. Wir müssen uns das eingestehen und ehrlich zu uns selbst sein.

An welcher Stelle genau?

Schlemmer: Die Ehe ist mehr ist als ein Gefühl, Liebe und Finanzen sind untrennbar miteinander verbunden. In einer Partnerschaft geht es um Teamarbeit, besonders, wenn aus ihr eine Familie entsteht. Das hat fast immer auch finanzielle Konsequenzen, die bedacht werden müssen.

… in der Mehrheit der Fälle eher negative für die Frauen, nicht wahr?

Schlemmer: Ja, es gibt zahlreiche Studien, die das belegen. Die Fakten sind bekannt: Männer machen häufiger Karriere, während Frauen oft beruflich zurückstecken, wenn ein Kind da ist. Aber oft möchten wir diese Realitäten nicht wahrhaben. Man hofft, dass man selbst nicht betroffen sein wird – so wie man hofft, bei einem Gewitter nicht vom Blitz getroffen zu werden.

Das ist allerdings tatsächlich extrem unwahrscheinlich…

Schlemmer: … eben. Bei der Ehe ist das anders. Und trotzdem hoffen wir, dass wir nicht jedes dritte Paar sind, das scheitert. Wir schaffen das, wir sind anders als die anderen… – dieser Gedanke steht im Vordergrund. Ich behaupte: Wären Paare aber ehrlicher zu sich selbst, würden 50 Prozent gar nicht erst heiraten.

Wo genau hakt es, wo täte mehr Ehrlichkeit gut?

Schlemmer: Grob zusammengefasst, sehe ich allem voran zwei Punkte. Erstens: Wir müssen wie gesagt ehrlich anerkennen, dass ein Kind das Leben eines Paares von Grund auf verändert. Es bringt eine völlige Neuausrichtung mit sich – wirklich in jeder Partnerschaft. Das ist ein Wendepunkt, ob man will oder nicht.

Das klingt ziemlich negativ.

Schlemmer: Es geht hier nicht darum, die Bereicherung durch Kinder klein zu reden. Kinder bringen viel Glück und Erfüllung. Aber wir sprechen jetzt von der konkreten Veränderung im Alltag, die ein Kind zwangsläufig mit sich bringt. Das kann man sich im Voraus oft nicht wirklich vorstellen.

Kommen wir jetzt zum zweiten Punkt in Sachen Ehrlichkeit?

Schlemmer: Genau. Zweitens können sich die meisten Menschen kaum vorstellen, wie sehr sich die Person, die sie geheiratet haben, im Falle einer Scheidung verändern kann. Der Partner, den man eins geheiratet hat, kann einem dann fast wie ein Fremder vorkommen.

Soll man sich das denn wirklich im Detail vorstellen? Wer sagt denn, dass das so kommen wird? Dass mein Gegenüber sich nicht auch im Falle eines Streits treu bleiben wird? Außerdem: Kann man sich überhaupt auf jemanden einlassen, wenn man von vornherein ungeahnte Facetten seines Wesens kalkuliert, die fiese Fratze, das, was möglicherweise hinter der Nettigkeit schlummert?

Schlemmer: Ich finde, all das gehört bedacht. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, wie fatal es oft ist, solche Überlegungen einfach auszublenden. Dabei geht es nicht nur darum, wie sich der Partner im Konfliktfall verhalten könnte – wir sollten auch einen Blick auf uns selbst werfen. Wie reagiere ich, wenn ich enttäuscht oder verletzt bin? Bin ich wirklich sicher, dass ich dann immer das Beste für meinen Partner will? Wer hier ehrlich zu sich ist, erkennt, dass sich auch die eigene Haltung in extrem Situation ändern kann.

Lassen Sie uns noch mal über den, wie Sie sagen, heiklen Übergang vom Paar zur Familie sprechen. Wo genau hakt es?

Schlemmer: Die Vorstellung, dass wir heute überwiegend paritätische, also gleichberechtigte Partnerschaft haben, ist leider weit entfernt von der Realität. Eine wirklich paritätische Partnerschaft würde ja bedeuten, dass beide Elternteile zu 50 Prozent Verantwortung übernehmen. Doch, das ist selten der Fall – besonders deutlich wird das nach einer Trennung, wo fast immer die Frauen den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen.

Weil die Frauen das wollen, würden Kritiker vielleicht sagen.

Schlemmer: Die Realität ist: Nur 5 bis 10 Prozent der Paare mit Kindern leben ein vollständig paritätisches Wechselmodell. Von einer „modernen Partnerschaft“ im Sinne echter Gleichberechtigung sind wir damit weit entfernt.  Auch wenn Männer heute durchaus mehr Verantwortung übernehmen als früher, ist die Vorstellung, dass sich seit den sechziger Jahren alles verändert hat, schlichtweg eine Illusion. In unserer Gesellschaft existiert etwas, was ich Vereinbarkeitslüge nenne.

Wo genau wird gelogen?

Schlemmer: Es wird suggeriert, dass Frauen „alles haben“ können – Karriere, Familie und Unabhängigkeit. Aber wer übernimmt tatsächlich den Großteil der Care-Arbeit? Wie werden Elternzeit und Verdienstausfälle ausgeglichen? Was passiert, wenn einer weniger verdienen oder nicht mehr in die private Altersvorsorge einzahlen kann? Diese Fragen bleiben offen und beantwortet. Wohin das führt, sehe ich regelmäßig.

Was sehen Sie?

Schlemmer: Ich sehe eine große Not, vor allem bei Frauen. Nach der Trennung wird häufig erwartet, dass sie plötzlich 40 Stunden erwerbstätig sind, obwohl sie während der Ehe vorwiegend die Kinderbetreuung übernommen haben. Dabei bleibt es auch nach der Trennung ihre Aufgabe, den Nachwuchs rechtzeitig vom Kindergarten oder von der Schule abzuholen – eine Belastung, die mit den neuen Arbeitsanforderung kaum zu vereinbaren ist. In der Ehe und nach der Trennung gelten oft unterschiedliche Maßstäbe. So kommen finanzielle Engpässe, Diskussionen über Kindesunterhalt, Sonder- und Mehrbedarf sowie auch Sorgerechtsstreitigkeiten quasi als zusätzliche Belastungen „on top“. Insbesondere dadurch, dass ich auf Instagram als @diescheidungsanwaeltin aktiv bin und über 77.000 Follower habe, erhalte ich täglich Rückmeldung von zahlreichen Frauen, die mir schreiben: „Ich habe genau das erlebt, wovor Sie immer warnen.“

Nämlich?

Schlemmer: „Ich dachte auch, das passiert mir nie, dass ich hängengelassen werde“, heißt es da zum Beispiel, „und jetzt muss ich um jeden Cent streiten“. Oder: „Ich war dumm, naiv, war die, die nicht mehr arbeiten gegangen ist, um ihm den Rücken frei zu halten. Jetzt habe ich den Salat.“ Augen auf bei der Partnerwahl, kann ich da nur sagen.

Oder besser: Augen auf bei der Ausgestaltung der Partnerschaft?

Schlemmer: Es geht darum, dass sich junge Paare darüber verständigen, wie sie sich die Erwerbs- und Betreuungsarbeit aufteilen wollen. Dazu gehören auch Überlegungen, wie ob und in welcher Höhe Ausgleichszahlungen für Verdienstausfälle und Karriereknicks geleistet werden. Oder wie und ob Lücken in der Altersversorgung gefüllt werden. Zum Beispiel durch eine zusätzliche private Altersvorsorge. Was habe ich vorher verdient? Und was verdiene ich jetzt? Da gibt es oft ein Delta, das sich durchaus genau ausrechnen lässt. Das Problem: Care-Arbeit ist unsichtbar. Laternebasteln wird in der Regel nicht als Arbeitszeit gewertet.

Wie helfen Sie Paaren, die das Problem erkannt haben? Feilen Sie gemeinsam an einem Ehevertrag?

Schlemmer: Anwälte sind Interessenvertreter, ich vertrete immer nur einen der Partner. Der Auftraggeber gibt die Richtung vor.

Das heißt?

Schlemmer: Ich habe sowohl männliche als auch weibliche Mandanten, aber meine Aufklärungsarbeit richtet sich primär an Frauen. Im Jahr 2024 sehe ich hier einen großen Nachholbedarf – für die Aufklärung über die Ehe gilt dasselbe wie für Finanzthemen generell. Das sind keine Themen, die nur dem Mann überlassen werden sollen

Was ist das Erfolgsgeheimnis? Ein Ehevertrag?

Schlemmer: Nicht immer. Ich habe schon alles erlebt. Paare, die am Ende keinen Vertrag geschlossen haben, weil sie sich nicht einigen konnten. Paare, die zu keiner Einigung kamen, und trotzdem geheiratet haben. Und dann gibt es so Rückmeldungen wie die einer Mandantin, die mir geschrieben hat: „Jetzt weiß ich, dass ich den Richtigen geheiratet habe!“

Drum prüfe, wer sich ewig bindet?

Schlemmer: Man darf sich nichts vormachen, die Auseinandersetzung und auch die Ehevertragsverhandlung sind kein Zuckerschlecken. In der Regel ist das Ganze mit Diskussionen und sogar auch mit Streitereien verbunden. Insbesondere die Männer sind gefordert. Schauen Sie, ich fordere, dass Frauen fordern. Das schmeckt nicht jedem. Die Kommentare, die ich bisweilen bei Insta bekomme, sprechen für sich…

Zum Beispiel?

Schlemmer: Einiges geht unter die Gürtellinie. „Ein Grund in blond, nicht zu heiraten“, meinte einer. Man merkt: Das Patriarchat wackelt… Übrigens: Ich stehe ja nicht nur dafür, dass Frauen Eheverträge einfordern, sondern ich möchte durch meine Aufklärung auch dazu beitragen, Frauen davor zu bewahren, unvorteilhafte Vereinbarungen zu ihren Nachteilen zu akzeptieren. Mein Thema ist also doppelseitig und vielen passt es eben nicht, dass ich hier sensibilisiere. Frauen die Forderungen stellen kommen nicht immer gut an.

Was raten Sie?

Schlemmer: Der Idealfall ist, dass beide Seiten sich erst einmal hinsetzen und jede Seite für sich aufschreibt, was sie für Vorstellungen hat, was sie konkret von der Ehe erwarten. Wie will ich leben? Jetzt und in Zukunft. Will ich Geld teilen? Ja oder Nein? Das Gespräch, die gemeinsamen Überlegungen – das ist erst der zweite Schritt.

Funktioniert so ein kniffliges Gespräch möglicherweise besser, wenn der Rahmen stimmt? Bei einem schönen Spaziergang  etwa oder einem guten Essen, im Restaurant?

Schlemmer: Ein angenehmer Rahmen wie ein Spaziergang kann das Gespräch natürlich entspannen, doch ganz klar ist, dass bei einem so wichtigen Thema wie die Erwartungen an die Ehe und den Ehe Vertrag, die Sachlichkeit im Vordergrund steht. Letztlich zählt aber der Inhalt des Gesprächs.

Die Romantik bleibt also draußen?

Schlemmer: Ja und nein. Man kann das auch umdrehen. Was gibt es schließlich Romantischeres, als klar zu bekunden, dass man für den anderen da sein will? Als zu sagen: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich lasse dich nicht hängen. Und das sage ich nicht nur so, ich gebe dir das sogar schriftlich.“





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