FOCUS online Earth: Diese Weltklimakonferenz ist eine Finanzierungs-Konferenz: Es geht um das neue NCQG, das neue gemeinsame Klimafinanzierungsziel. Gerade Deutschland hat aktuell, wie auch andere Teile der EU, einen kriselnden Haushalt. Wie viel Hoffnung haben Sie, dass wir dieses Jahr gute Ergebnisse erzielen?
Jochen Flasbarth: Finanzierungsfragen sind immer schwierig, da es letztendlich um Verteilung geht. Wer muss wie viel geben, wer kann wie viel bekommen? Dies sind naturgemäß keine einfachen Verhandlungen. Deutschland hat in den letzten Jahren seinen fairen Anteil geleistet, ärmere Staaten zu unterstützen. Deswegen gelten wir als glaubwürdig und verlässlich. Doch angesichts knapper Kassen in den meisten Industrieländern ist es wichtig, diese Geldfragen um einen neuen Ansatz zu erweitern. Klimaschutz muss vor allem durch gute Rahmenbedingungen und Investitionen von Unternehmen in Klimaschutztechnologien erfolgen. Erneuerbare Energien sind inzwischen ein erfolgreiches Geschäftsmodell in vielen Teilen der Welt. Die Regierungen müssen den Blick über staatliche Finanzierungen hinaus weiten und große private Investitionsströme von fossilen zu erneuerbaren Energien lenken.
Klimafinanzierung: Auch China und Golfstaaten müssen Beitrag leisten
Die Entwicklungsländer sprechen von einem Bedarf in Billionenhöhe, der vor allem aus öffentlichen Mitteln kommen soll. Wie passt das zusammen?
Flasbarth: Wenn die Aussage so verstanden wird, dass diese Billionenbeträge aus staatlichen Haushalten kommen müssen, wird das nicht stattfinden. Das ist einfach nicht möglich. Zum Glück muss es auch nicht so sein. Ein Beispiel: In Südafrika haben wir gesetzliche Änderungen unterstützt, die es erlauben, Strom aus erneuerbaren Energien ins staatliche Netz einzuspeisen. Dadurch lohnen sich Investitionen in erneuerbare Energien ohne staatliche Unterstützung.
Was den Anteil der staatlichen Unterstützung angeht: Wir stehen zu dem, was wir als Industrieländer versprochen haben. Das ist eine Frage der Solidarität mit den Ärmsten und nur so wird es gelingen, dass sich die ganze Welt auf den Weg macht zur Klimaneutralität. Aber mittlerweile sind einige Schwellenländer und ölproduzierende Staaten reicher geworden, wie die Golfstaaten und China. Auch sie müssen ihren Beitrag leisten.
Radwege in Peru: „zugespitzt und teilweise polemisch“
Welche Maßnahmen wollen Sie verhandeln, um die Finanzströme für Klimaschutz und Anpassung in die Entwicklungsländer zu leiten?
Flasbarth: Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat als deutsche Gouverneurin in der Weltbank gemeinsam mit ihrer amerikanischen Kollegin in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass die Weltbank sich reformiert hat. Sie hat ihr Geschäftsmodell verändert und verfolgt künftig nicht mehr nur die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, sondern auch globale Ziele wie den Klimaschutz. Das ermöglicht mehr günstige Kredite der Weltbank für Länder, die Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, von denen die ganze Welt etwas hat.
Wir können auch in Deutschland mehr tun, zum Beispiel durch die Vergabe von Garantien für Investitionen von Unternehmen in risikoreichen Regionen etwa in Afrika. Das schont den Bundeshaushalt und fördert gleichzeitig Investitionen.
Klingt ja für Deutschland erst mal nach einem positiven Beispiel. Nun zu einem Fall, der für negative Schlagzeilen gesorgt hat: Die Radwege in Peru. Viele Bürger in Deutschland, die selbst mit wirtschaftlichen Herausforderungen wie Inflation kämpfen, stellen infrage, warum Mittel für Klimafinanzierung ins Ausland fließen. Was sagen Sie zu der Kritik?
Flasbarth: Denken Sie an das Ahrtal oder gerade Spanien: Menschen sterben wegen des Klimawandels! Wir haben ein globales Klimaproblem, und die Emissionen, die irgendwo auf der Welt entstehen – sei es in Peru, China oder Deutschland – haben überall denselben negativen Effekt. Deshalb müssen wir den Klimaschutz weltweit angehen. Länder wie Peru oder auch Indien argumentieren, dass die Industrieländer einen Großteil der Probleme durch ihre historischen Emissionen verursacht haben. Gleichzeitig stehen Entwicklungs- und Schwellenländer vor erheblichen Entwicklungsherausforderungen und tragen heute selbst zu Zweidrittel der Treibhausgasemissionen bei. Wenn wir von ihnen erwarten, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, müssen wir sie dabei unterstützen. Das ist die Grundlage der internationalen Klimazusammenarbeit.
Der Fall der Radwege in Peru wurde isoliert zugespitzt und teilweise polemisch dargestellt. Natürlich gibt es in Deutschland Baustellen – seien es marode Schulen oder andere Infrastrukturprobleme. Aber diese Themen gegeneinander auszuspielen, ist nicht hilfreich und oft böswillig. Nur rund zwei Prozent des Bundeshaushalts werden in Entwicklungsprojekte im Ausland investiert. Es geht dabei in erster Linie um Solidarität mit den Ärmsten, aber auch um das Ansehen und die Verbindungen Deutschlands in der Welt. Das ist auch wichtig für die deutsche Wirtschaft, wir sind eine Exportnation.
Die Radwege sind Teil eines größeren Infrastrukturprojekts, das fast ausschließlich durch Kredite finanziert wird, die zurückgezahlt werden. Außerdem sind deutsche Unternehmen am damit verbundenen Bau der Metro beteiligt und profitieren wirtschaftlich davon. Die Projektplanung der Radwege leitet ein deutsch-mexikanisches Konsortium unter Leitung eines deutschen Unternehmens.
Um Industrie in Deutschland zu halten, muss sie klimaneutral werden
Kann beides parallel funktionieren? Viele Menschen sehen ihre eigene Infrastruktur zerfallen, während Mittel für die Klimatransformation auch ins Ausland fließen. Wie erklären Sie das den Deutschen?
Flasbarth: Entwicklungspolitik versucht, die Menschen vor Ort dabei zu unterstützen, sich beim Klimaschutz – und auch der Anpassung an den Klimawandel selbst zu helfen. Das ist auch für Deutschland sinnvoll, nicht nur, um zu vermeiden, dass Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil diese nicht mehr bewohnbar ist, sondern auch wirtschaftlich. Wir sind ein Land mit wenig Rohstoffen und sind auf Zusammenarbeit mit anderen Ländern angewiesen. Ein konkretes Beispiel: Grüner Wasserstoff.
Deutschland braucht nicht nur klimaneutralen Strom. Wir müssen auch unsere Industrien, wie die Stahl-, Chemie- oder Zementproduktion, klimaneutral machen, um sie in Deutschland zu halten. Grüner Wasserstoff spielt dabei eine Schlüsselrolle. Den können wir in Deutschland teilweise selbst produzieren, aber eben nicht in ausreichendem Maße.
Andere Länder haben viel bessere Bedingungen, mehr Wind und Sonne, um Wasserstoff kostengünstig und effizient herzustellen. Sie profitieren durch Investitionen und Dekarbonisierung, während wir Zugang zu grünem Wasserstoff erhalten.
Ein gutes Beispiel für diesen Win-win-Effekt ist ein großes Wasserstoffprojekt in Namibia, bei dem ein internationales Konsortium den Zuschlag erhielt – mit einer deutschen Firma als federführendem Partner. Das zeigt, wie sehr unsere Ingenieurleistungen und technischen Fähigkeiten weltweit gefragt sind. Wir tragen nicht nur zur globalen Energiewende bei, sondern sichern uns auch wichtige wirtschaftliche Chancen in der Zukunftstechnologie.
Früher haben wir weniger über diese Vorteile für Deutschland geredet, weil das Argument, dass niemand auf dieser Welt hungern und in Armut leben muss, lange Zeit breite Zustimmung fand. Leider schwindet diese Solidarität. Aber für all jene, denen die Mitmenschlichkeit als Motivation nicht ausreicht, gibt es noch genügend andere Argumente für eine starke Entwicklungspolitik: Deutschland ist eine Exportnation und erwirtschaftet jeden zweiten Euro im Ausland. Sich nur nach innen zu wenden, würde Deutschland massiv schaden.
Und was die Infrastruktur bei uns angeht: Der Investitionsstau in Deutschland ist teilweise selbstverschuldet. Wir hatten über Jahre hinweg eine Politik, die weder Steuern anpasste noch bei der Schuldenbremse Spielräume nutzte, selbst in Zeiten, in denen Investitionen in die Zukunft dringend notwendig waren.
Geld für Entwicklungspolitik kürzen: „Geradezu grotesk“
Kürzungen in der Entwicklungspolitik sind also der falsche Weg, um dem deutschen Haushalt zu straffen, wie es Ex-Finanzminister Lindner noch vergangenes Jahr öfter gefördert hat?
Flasbarth: Ja, es ist geradezu grotesk aus Sicht einer liberalen und wirtschaftlich orientierten Partei. Entwicklungszusammenarbeit ist keine Einbahnstraße. Sie schafft Arbeitsplätze, sichert Exporte und sorgt für Stabilität, von der auch Deutschland profitiert. Es war falsch, bei der Entwicklungspolitik zu kürzen.
Klimafinanzierung: Vieles auch ohne staatliches Geld möglich
Dann warten wir ab, wie es in der nächsten Bundesregierung mit der Entwicklungspolitik aussieht. Zurück zur Weltklimakonferenz: Deutschland will den Kreis der Geberländer erweitern. Was wollen Sie noch auf der COP erreichen, um die Klima-Finanzierung für die Entwicklungsländer zu ermöglichen?
Flasbarth: Erstens müssen mehr Länder als bisher ihren Beitrag leisten und nicht mehr nur eine begrenzte Anzahl von Industrieländern in die Pflicht genommen wird. Zweitens gilt es, mehr private Mittel zu hebeln, also aus einem Euro Steuergeld mehrere Euro Unternehmensinvestitionen zu machen – beispielsweise über Entwicklungsbanken wie die Weltbank. Drittens müssen wir den Blick auch über das staatliche Handeln hinaus weiten und private Investitionen stärker berücksichtigen. Und viertens sollte einfließen, was die Entwicklungsländer bereits selber tun oder tun können. Gute Politiken für die richtigen Weichenstellungen gehören dazu. Vieles ist auch ohne staatliches Geld möglich.
Je schneller es gelingt, Investitionen in den Klimaschutz wie Windräder und Solarparks nicht mehr staatlich zu finanzieren, sondern schon zum neuen Normal der weltweiten Wirtschaftsweise zu machen, desto besser. Das knappe staatliche Geld könnte dann dazu dienen, Staaten bei der Anpassung an den Klimawandel und dem Umgang mit Schäden und Verlusten noch stärker zu unterstützen.
Dürfen bei Klimaschutzmaßnahmen „nicht nachlassen“
Bislang ist das Fossile immer noch ein Geschäftsmodell. Es gab eine Hochrechnung, dass die fossilen Subventionen sechsmal so hoch sind, wie die Summe, die man eigentlich für die Klimafinanzierung bräuchte. Könnte man da nicht ansetzen?
Flasbarth: Das ist im weltweiten Maßstab ein interessanter Punkt. In Deutschland gibt es verglichen mit der Zeit des Steinkohlebergbaus nicht mehr viele solcher Subventionen für fossile Energieträger. Und die, die es noch gibt – das Dienstwagenprivileg zum Beispiel -, fördern Elektroautos bereits stärker als Verbrenner. Auch beim Flugverkehr haben wir in Deutschland gehandelt und eine Luftverkehrsabgabe eingeführt, weil eine Kerosinsteuer schwer umzusetzen ist. Denn Kerosinsteuern zu umgehen, ist kinderleicht, dann tanken die Flugzeuge einfach in Istanbul statt in Frankfurt.
Ohne welchen Erfolg wollen Sie Baku nicht verlassen?
Flasbarth: Zwei Dinge sind enorm wichtig. Erstens dürfen wir bei den Klimaschutzmaßnahmen, also bei der Reduzierung von Treibhausgasen, nicht nachlassen. Das Pariser Abkommen sieht vor, dass Staaten eigene nationale Klimaschutzziele festlegen, die dann zusammengeführt werden. Es war von Anfang an klar, dass diese Ziele zunächst nicht ausreichen würden. Deshalb müssen die Staaten alle fünf Jahre ihre Ziele erneuern und verbessern. Das muss ein starkes Signal aus Baku sein, denn 2025 müssen die neuen nationalen Klimaschutzpläne vorgelegt werden. Zweitens gehört dazu eine Verständigung auf die Finanzierung, denn der finanzielle Aspekt ist entscheidend, um die Ziele zu erreichen. Klimaschutz und Finanzierung müssen Hand in Hand gehen.
Die nationalen Klimapläne der Entwicklungsländer könnten womöglich weniger ambitioniert ausfallen, wenn den Ländern die Gelder fehlen.
Flasbarth: Das ist zum Teil verständlich, aber nicht die ganze Wahrheit. Es gibt Länder mit hervorragenden Bedingungen für erneuerbare Energien, wie Namibia. Namibia hat beschlossen, ein führendes Land für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff zu werden. Ohne Druck von außen. Länder können auch selbst etwas tun.
Wir brauchen eine Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen. Der klassische Nord-Süd-Diskurs, in dem es heißt, dass die Länder im globalen Norden allein schuld sind und alles richten müssen, während der Süden dafür entschädigt werden muss, greift zu kurz.
Natürlich müssen wir solidarisch sein, unterstützen und unseren Beitrag leisten – davon profitieren wir letztendlich auch selbst. Aber gleichzeitig können und müssen auch andere Länder mehr tun. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, bei der jeder seinen Teil beitragen kann und sollte.